Die Worte am Kreuz

Nach dem Abendmahl begibt sich Jesus mit seinen Jüngern zum Ölberg und anschließend nach Getsemani. Dort wird er gefangen genommen zum Hohenpriester Kaiphas geführt, bei dem sich die Hohenpriester und Ältesten versammelt haben. Hier wird Jesus verhört und für schuldig befunden.

In der Frühe des folgenden Tages wird Jesus dem Landpfleger Pilatus überstellt und zum Tod am Kreuz verurteilt. Unmittelbar danach wird Jesus von den Kriegsknechten verhöhnt, zur Kreuzigung geführt und gegen Mittag ans Kreuz geschlagen. Gegen 15 Uhr ist Jesus tot.

Nach dem Bericht der drei Synoptiker, Matthäus, Markus und Lukas wurde Jesus am 14. Nisan gekreuzigt, er starb und wurde am gleichen Tag begraben.

Dieser Tag war der Rüsttag (Matthäus 27, Vers 62). Markus erklärt diesen Ausdruck für seine nichtjüdischen Leser als den "Vorsabbat" (Markus 15, Vers 42) und Lukas erläutert: Es war Rüsttag und der Sabbat brach an (Lukas 23, Vers 54). Nach diesen Berichten ist Jesus am Freitag nachmittag gestorben und gegen Abend vor Anbruch des Sabbats ins Grab gelegt worden.

Der "Rüsttag des Passa" bezeichnet den Freitag als Vorbereitung auf den ins Osterfest fallenden Sabbat. An diesem Rüsttage, d. h. vor Anbruch des Sabbats, wurden nach Johannes 19, Vers 41 die Leichname der Gekreuzigten vom Kreuze abgenommen. So stimmen die vier Evangelien über das letzte Passamahl und den Todestag Jesu überein.

Jesus beauftragte Petrus und Johannes am Vormittag des 13. Nisan, das Passamahl vorzubereiten, und sandte sie voraus in die Stadt. Um 18 Uhr dieses Tages begann der 14. Nisan, da begann auch das Schlachten der Lämmer (2. Mose 12, Vers 6; 5. Mose 16, Vers 6).

Da beginnt nach jüdischer Zeitrechnung der letzte Tag - sein Kreuzweg - im Leben des Jesus von Nazareth. Er beginnt am Gründonnerstag gegen 18.00 Uhr mit der Einsetzung des Abendmahls bei der Passafeier mit seinen Jüngern und endet am Karfreitag nachmittag mit dem Sterben Jesu gegen 15.00 Uhr.

Letzte Worte haben besonderes Gewicht. Abschiedsworte werden nicht so schnell vergessen. Hören wir uns die letzten Worte Jesu an:

 

 Lukas 23, Verse 32 bis 34: Mit Jesus wurden zwei Verbrecher vor die Stadt geführt zu der Stelle, die man «Schädelstätte» nennt. Dort wurde Jesus ans Kreuz genagelt und rechts und links von ihm die beiden anderen. Aber Jesus betete: «Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!» Unter dem Kreuz verlosten die Soldaten seine Kleider.

 

 Lukas 23, Verse 39 bis 43: Auch einer der Verbrecher, die mit ihm gekreuzigt worden waren, lästerte: «Bist du nun der Messias? Dann beweise es! Hilf dir selbst und uns!» Aber der am anderen Kreuz wies ihn zurecht: «Fürchtest du Gott nicht einmal jetzt, kurz vor dem Tod? Wir hängen hier zu Recht. Wir haben den Tod verdient. Der hier aber ist unschuldig; er hat nichts Böses getan.» Zu Jesus sagte er: «Herr, denke an mich, wenn du in dein Königreich kommst!» Da antwortete ihm Jesus: «Ich versichere dir: Noch heute wirst du mit mir im Paradies sein.»

 

 Johannes 19, Verse 25 bis 27: Unter dem Kreuz, an dem Jesus hing, standen seine Mutter und ihre Schwester, außerdem Maria, die Frau von Kleopas, und Maria Magdalena. Als Jesus nun seine Mutter sah und neben ihr den Jünger, den er liebhatte, sagte er zu ihr: «Er soll jetzt dein Sohn sein!» Und zu dem Jünger sagte er: «Sie ist jetzt deine Mutter.» Da nahm der Jünger sie zu sich in sein Haus.

 

 Matthäus 27, Vers 46: Gegen drei Uhr rief Jesus laut: «Eli, Eli, lama sabachthani?» Das heißt: «Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?»

 

 Johannes 19, Vers 28: Jesus wußte, daß nun sein Auftrag erfüllt war. Da erst sagte er (und wieder erfüllte sich damit eine Voraussage der Heiligen Schrift): «Ich habe Durst!»

 

 Johannes 19, Vers 30: Als Jesus davon getrunken hatte, rief er: «Es ist vollbracht!»

 

 Lukas 23, Vers 46: Jesus schrie noch einmal laut auf: «Vater, in deine Hände gebe ich meinen Geist!» Dann starb er.

 

Das erste und das letzte Wort, schreibt Hermann Bezzel, daß unser Herr am Kreuz gesprochen hat, beginnt mit dem majestätischen, kindlichen Siegeswort: "Vater" - "Vater, vergib ihnen!" - "Vater, in deine Hände!"

Jetzt ist Jesus am Ort seiner Bestimmung. Er hängt am Kreuz. Er hängt zwischen zwei Verbrechern. Er hängt zwischen Himmel und Erde. Jetzt erfüllt sich das Wort des Johannes: Seht, das ist Gottes Opferlamm, das die Sünden der Welt hinwegnimmt (Johannes 1, Vers 29).

Allein an diesem Kreuz, allein zwischen Himmel und Erde, allein und beladen mit der Sünde der Welt, bleibt ihm nur eins: Der Vater!

Er klagt ihn nicht an. Er gibt sich ganz in seine Hand. Jetzt und hier am Ende und am Ziel seines Lebens. Das Kreuz ist für ihn gemacht. Er hält es fest umklammert. Nicht die Nägel halten ihn am Kreuz. Er hält das Kreuz. Er hat sich freiwillig und aus Liebe dazu entschieden.

Alles andere liegt jetzt hinter ihm. Getsemani mit seinem Leidenskampf, Tränen und blutigen Schweiß hat er dort vergossen, seine Jünger haben ihn verlassen, keiner ist bei ihm geblieben. Er ist ganz allein an diesem Kreuz, ganz arm.

In seinem Herzen quillt die Finsternis auf, Stunde um Stunde, immer schwärzer und schwerer dringt die Finsternis ein in die Seele des Unschuldigen unter all der Schuld des Lebens.

Allen anderen Versuchen ihn zu töten, ist er entgangen. Jetzt umklammert er diese gekreuzten Hölzer. Dafür hat er gelebt, für dieses Kreuz. Das Ergebnis seines Leidens faßt er in diesem einen Wort zusammen: Vater!

Alle anderen am Kreuz gesprochenen Worte beginnen und enden in diesem einen Wort: Vater!

Deshalb verflucht er seine Feinde nicht. Er bittet für sie um Vergebung. Er hängt ja auch für ihre Schuld am Kreuz.

Deshalb sagt er dem Verbrecher, der um Gnade bittet die Zukunft an. Er hängt ja auch für seine Schuld am Kreuz.

Deshalb sorgt er am Kreuz noch für seine Mutter und beauftragt Johannes, sich um sie zu kümmern. Er hängt ja auch für sie und für den Jünger, den er liebt, an diesem Kreuz.

Deshalb schreit er die Anfangsworte des 22. Psalms. Er kennt diesen Psalm. Er weiß auch um die letzten Worte: Er hat den Hilflosen nicht verachtet, über sein Elend setzte er sich nicht hinweg. Nie wandte er sich von ihm ab! Er hat ihm geantwortet, als er um Hilfe schrie. Die noch nicht geboren sind, werden es hören und weitersagen: Gott ist treu, auf seine Hilfe ist Verlaß!

Deshalb erfüllt er mit der demütigen Bitte: Ich habe Durst den 16. Vers dieses 22. Psalms und zeigt noch einmal: Der König ist ein Diener. Gott wurde arm für uns. Der Schöpfer bittet seine Geschöpfe um Wasser. So unendlich tief erniedrigte sich Gott für uns. So arm hat sich Gott für uns gemacht.

Deshalb hängt er hier, um das Werk unserer Erlösung zu vollbringen. Jetzt er es vollbracht, bezahlt. Sein Werk beendet. Das Lamm hat seine Schuldigkeit getan. Er hat die Sünden der Welt getragen. Jesus hat für uns und an unserer Stelle mit seinem Blut bezahlt.

So gibt er sich ganz in die Hand seines Vaters und befielt sich ihm an.

Alle am Kreuz gesprochenen Worte haben ihren Ursprung und ihr Ziel in diesem einen Wort: Vater!

Das war und ist es, was Jesus will und wollte: Uns den Vater zeigen. Uns den Vater lieb und groß machen und vor allem uns den Weg zum Vater ebnen. Genau deshalb hängt er doch hier an diesem Kreuz. Damit wir dort nicht hängen müssen. Genau deshalb ist er doch für uns zu unserem Passalamm geworden, damit wir zu unserem Vater kommen dürfen. Genau deshalb. Damit wir dazu befreit werden, zum allmächtigen und heiligen Gott Vater zu sagen. Deshalb starb er unseren Tod. Deshalb gab er sich selbst für uns und an unserer Stelle als heiliges und reines Opfer hin. Deshalb wurde er zu unserem Passalamm.

Genau deshalb: Damit wir dem heiligen Gott unter die Augen treten können. Damit wir zum heiligen Gott Vater sagen können. Damit wir von allen erbärmlichen menschlichen Opfern frei werden, die uns niemals und auch nur ansatzweise dazu befähigen, zum Vater zu kommen.

Jesus ist der Weg zum Vater. Er ist der einzige Weg. Er ist vom Vater zu uns gekommen, um uns den Vater zu zeigen und den Weg zu ebnen. So führte ihn sein Weg unaufhaltsam und von vorneherein zum Kreuz. Der Weg zum Vater hat nur einen einzigen Namen: Jesus Christus!



Krefeld, den 29. März 2002
Pastor Siegfried Ochs



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