Verunsicherung und Zeitzeichen

Seit Donnerstag beschäftigt die eigene Befreiung der mittlerweile 18jährigen Natascha Kampusch aus Österreich die Medien.

Eine unvorstellbare acht Jahre dauernde und menschenverachtende Geiselhaft ging zu Ende. Bemerkenswert, was Jens Voss von der Rheinischen Post in der Freitagsausgabe dazu anmerkte: Manchmal gibt es Nachrichten, bei denen die üblichen Reflexe versagen, weil es nichts gibt, was man tun, rufen, fordern kann. Man kann nur verstummen. Ein Mann fängt sich ein Kind und hält es acht Jahre fest - unbemerkt von Nachbarn, Kollegen, Bekannten und Freunden, wenn er welche hatte. Ein Mann raubt einem Kind seine Freiheit. Ein Mann stürzt Eltern in ein Martyrium aus Bangen und Hoffen und Trauer. Ein Mann kauft ein, putzt sich die Zähne, zieht sich ein frisches Hemd an – und hält sich in einem Loch eine Kinder-Sklavin. Wie soll man diese Ungeheuerlichkeit verstehen? An Tagen wie diesen erschrecken wir über uns selbst. Homo homini lupus – der Mensch ist des Menschen Wolf. Das Mädchen Natascha steht für viele Kinder auf der Welt, die gestohlen, verkauft, misshandelt und verbraucht werden. Die Banalität des Bösen ist eben gepaart mit teuflischer Klugheit: Kinder sind ja so leichte Beute.

So sehr man auch sucht: Viel ist es nicht, was man tun kann. Unsere Kinder nach Kräften behüten. Achtsam sein. Sich ein offenes Herz und einen scharfen Sinn bewahren, um Wohlanständigkeit von der Fassade der Wohlanständigkeit zu unterscheiden. Auch dies mag nahe liegen: beten – für Natascha und ihre Eltern zum Beispiel.

© Rheinische Post vom 25. August 2006, Seite 2

Ein ganz erstaunlicher Kommentar, nicht wahr?

Immer wieder gibt es solche grausamen und furchtbaren Nachrichten, die ohne die reale Macht des Bösen letztlich nicht zu begreifen und zu verstehen sind.

Darauf macht Paulus nicht nur die Thessalonicher aufmerksam, 2. Thessalonicher 2, Vers 1 bis 12 (Einheitsübersetzung): Brüder, wir schreiben euch über die Ankunft Jesu Christi, unseres Herrn, und unsere Vereinigung mit ihm und bitten euch: Lasst euch nicht so schnell aus der Fassung bringen und in Schrecken jagen, wenn in einem prophetischen Wort oder einer Rede oder in einem Brief, der angeblich von uns stammt, behauptet wird, der Tag des Herrn sei schon da. Lasst euch durch niemand und auf keine Weise täuschen!

Denn zuerst muss der Abfall von Gott kommen und der Mensch der Gesetzwidrigkeit erscheinen, der Sohn des Verderbens, der Widersacher, der sich über alles, was Gott oder Heiligtum heißt, so sehr erhebt, dass er sich sogar in den Tempel Gottes setzt und sich als Gott ausgibt. Erinnert ihr euch nicht, dass ich euch dies schon gesagt habe, als ich bei euch war?

Ihr wisst auch, was ihn jetzt noch zurückhält, damit er erst zur festgesetzten Zeit offenbar wird. Denn die geheime Macht der Gesetzwidrigkeit ist schon am Werk; nur muss erst der beseitigt werden, der sie bis jetzt noch zurückhält. Dann wird der gesetzwidrige Mensch allen sichtbar werden. Jesus, der Herr, wird ihn durch den Hauch seines Mundes töten und durch seine Ankunft und Erscheinung vernichten.

Der Gesetzwidrige aber wird, wenn er kommt, die Kraft des Satans haben. Er wird mit großer Macht auftreten und trügerische Zeichen und Wunder tun. Er wird alle, die verloren gehen, betrügen und zur Ungerechtigkeit verführen; sie gehen verloren, weil sie sich der Liebe zur Wahrheit verschlossen haben, durch die sie gerettet werden sollten. Darum lässt Gott sie der Macht des Irrtums verfallen, so dass sie der Lüge glauben; denn alle müssen gerichtet werden, die nicht der Wahrheit geglaubt, sondern die Ungerechtigkeit geliebt haben.

Nachrichten, wie die von Natascha rütteln uns auf – zeitweise zumindest - und lassen den Familienminister von NRW, Armin Laschet nüchtern feststellen: „So etwas ist auch bei uns denkbar! Denn unsere Gesellschaft ist erschreckend kalt geworden. Niemand hat in all den Jahren bei den vielen Begegnungen mit Natascha und ihrem Peiniger nachgefragt. Das ist mir unbegreiflich.“

© Rheinische Post vom 26. August 2006, Seite 1

Als ein Zeichen der letzten Zeit nennt Jesus diese fehlende Liebe füreinander (Matthäus 24, Vers 12: Und weil Gottes Gebote missachtet werden, setzt sich das Böse überall durch. Und die Liebe wird bei vielen erlöschen.). Damit geht die Gleichgültigkeit Hand in Hand. Jeder ist sich selbst der Nächste.

Es gibt heilsame Verunsicherungen, die uns wachrütteln und aufmerksamer leben lassen. Daneben gibt es aber auch heillose Verunsicherungen, die uns lähmen und uns resignieren lassen. Die Thessalonicher wurden durch Fehlmeldungen, die angeblich von Paulus stammen sollten, völlig aus der Fassung gebracht.

1. Die Verunsicherung der Thessalonicher

2. Thessalonicher 2, Vers 1 bis 3a (Hoffnung für alle): Im Zusammenhang mit dem Wiederkommen unseres Herrn Jesus Christus und seinem Versprechen, daß wir für alle Zeiten bei ihm sein werden, haben wir noch eine Bitte an euch, liebe Brüder: Laßt euch nicht durch Gerüchte verwirren und erschrecken, der Tag des Herrn sei schon da. Bleibt kritisch und besonnen, wenn ihr von Visionen und angeblichen Offenbarungen Gottes hört. Glaubt es nicht, wenn man euch Briefe mit derartigen Behauptungen zeigt, die wir geschrieben haben sollen. Laßt euch von niemandem so etwas einreden, auf gar keinen Fall dürft ihr darauf hören!

Ohne näher darauf einzugehen, beschreibt Paulus hier die große Verunsicherung der noch jungen Christengemeinde in Thessalonich, die durch Falschmeldungen, Brieffälschungen und zweifelhafte Prophetien, die alle angeblich belegen sollten, dass der Tag des Herrn bereits gekommen sei, in Angst und Schrecken geraten sind. Denn wenn die Entrückung schon stattgefunden hat, wie man den Thessalonichern weis machen will, fragen sie sich natürlich zu recht, weshalb sie nicht dabei waren? Sie warten doch auf nichts anderes, als auf ihren geliebten Herrn. Für Jesus sitzen einige von ihnen im Gefängnis und andere leiden unsagbare Qualen. Waren sie nicht würdig genug? Hatten sie noch zu viel Dreck am Stecken? Oder wurden sie schlicht und einfach vergessen und von Jesus übersehen?

Wie viel Schindluder wurde im Laufe der Kirchengeschichte mit der Rede von der Wiederkunft Jesu unter allen möglichen und vor allen Dingen ernsthaften Christen angestellt. Wie viel Ängste wurden durch diverse Endzeitspekulationen und selbst ernannte Endzeitpropheten geschürt? Ille musste sich z.B. in ihrer Teeniezeit, wenn sie mal ins Kino gehen wollte, immer wieder mit der Frage auseinander setzen: „Meinst Du, dass Jesus Dich mit in sein Reich nehmen wird, während Du Dich im Kino vergnügst?“

Endzeitspekulationen – gerade auch vor der letzten Jahrtausendwende – haben zu den seltsamsten Ergebnissen geführt: Menschen verkauften Hab und Gut, ließen alles stehen und liegen, wanderten aus und erwarteten auf einem Berg das Kommen Jesu. Gerade die Ungewissheit verführte die Christenheit immer wieder dazu, doch Berechnungen anzustellen, um dann erschreckend feststellen zu müssen, sich wieder einmal verrechnet zu haben.

Wie wichtig ist das für uns! – schreibt Werner de Boor in der Wuppertaler Studienbibel - Hier setzt mit tiefem Ernst jenes "Prüfen" ein, das auch "Weissagungen" gegenüber ausdrücklich gefordert ist und erst recht keine Unklarheit und Unwahrhaftigkeit bei den anderen Beweismitteln duldet. Es ist tröstlich, aber auch hart für uns, zu wissen: sofort damals bei den ersten Gemeinden schon mußte damit gerechnet werden, daß der Versuch zum "Betrügen" gemacht wurde und daß man sich dabei "jeder Weise", auch der "frommen", bediente und den Heiligen Geist ebenso wie Wort und Brief geistlicher Autoritäten in unwahrer Weise für diesen Betrug in Anspruch nahm. Wir werden uns nicht wundern dürfen, wenn es so etwas auch heute gibt, und werden zugleich um so ernster und bestimmter auf der Hut sein.

Wir merken, warum der Herr diesen zweiten Thessalonicherbrief hat schreiben und uns aufbewahren lassen.

Wir werden uns aber auch nicht so billig und pharisäisch über die erheben dürfen, die solche Nachrichten aufbrachten, und über die, die davon bewegt wurden. Eine herzlose und gleichgültige Christenheit ist freilich solchen Gefahren nicht ausgesetzt, weil sie Jesus nicht mehr liebt und darum auch nicht mehr auf ihn wartet. "Schwärmerei" ist immer nur die Gefährdung lebendiger Gemeinden. Sichere Überlegenheit über alle "Schwärmerei" ist also nichts weiter als ein Zeichen des Todes, dessen man sich lieber nicht rühmen sollte!

© Werner de Boor, Die Briefe des Paulus an die Thessalonicher, Seite 130

Paulus versucht, die Verunsicherung und die Angst der Thessalonicher durch das kleine Wörtchen „denn“ zu entkräften. Denn bevor Jesus wiederkommt, muss erst einmal etwas ganz anderes kommen.

2. Die Inkarnation des Bösen

2. Thessalonicher 2, Vers 3b bis 5 und Vers 9 bis 12 (Hoffnung für alle): Denn bevor Christus wiederkommt, werden sehr viele Menschen von Gott abfallen. Dann wird der Antichrist erscheinen, ein Mensch, der das Böse verkörpert, der Sohn der Hölle. Er ist der Feind Gottes schlechthin und maßt sich an, über Gott und jede Art von Gottesverehrung erhaben zu sein. Ja, er wird sich im Tempel Gottes selbst als Gott verehren und anbeten lassen. Erinnert ihr euch nicht daran, daß ich euch das alles schon gesagt habe, als ich noch bei euch war?

Doch seht euch vor: Mit Hilfe des Teufels wird der Antichrist Taten vollbringen, über die man staunen wird. Und doch ist alles durch und durch verlogen. Mit seinen Verführungskünsten wird er alle auf seine Seite bringen, die verloren sind, weil sie die Wahrheit nicht anerkennen wollten, die ihre Rettung gewesen wäre. Weil sie nicht der Wahrheit, sondern der Lüge glauben, überläßt sie Gott ihrem Irrtum. So wird jeder gerichtet, der die Wahrheit nicht liebt, sondern der Lüge glaubt.

Paulus prophezeit keine weltweite Erweckung, sondern den massenhaften Abfall vom lebendigen Gott und den Aufstieg und Sieg der Inkarnation des Bösen, des Antichristen.

Bevor Jesus in Macht und Herrlichkeit sichtbar für alle Menschen wiederkommt und seine Braut, die Gemeinde Jesu, für immer und ewig mit ihrem Herrn und Heiland verbunden sein wird, wird sich das Böse in dieser Welt erst einmal potenzieren, ja sogar in der Person des Antichristen personifizieren müssen.

Demnach müssen wir Christen uns über die Zunahme der Schreckensnachrichtungen nicht wundern. Erschrecken und Mitleiden schon, aber nicht wundern!

Paulus bezeichnet ihn als „Mensch der Gesetzwidrigkeit“, „Sohn des Verderbens“ und als „Widersacher“.

Dreierlei wird ihn kennzeichnen:

- Er setzt sich selbst an die Stelle Gottes und will angebetet werden!

- Er wird in der Kraft Satans Zeichen und Wunder tun!

- Er wird die Massen begeistern und für sich gewinnen!

In den Versen 10 bis 12 weist Paulus ausdrücklich darauf hin, dass die „Verführten“ sich vorher bewusst gegen die Liebe zur Wahrheit und damit für die Lüge entschieden haben. An der Person des Antichristen werden sich also buchstäblich die Geister scheiden. Auf diese Endscheidung wird sich alles zuspitzen: Christus oder diese faszinierende schillernde betörende und buchstäblich verzaubernde Person, die in Wahrheit aber nichts weiter als die Ausgeburt der Hölle ist.

Dass Paulus uns mit dem Hinweis auf den kommenden Antichristen keinen Horrorfilm a la Roman Polanskis „Rosmaries Baby“ von 1967 servieren will, unterstreichen die Verse 6 bis 8. Als Christen sollen wir nicht der Faszination des Bösen erliegen, sondern den Sieg Jesu Christi proklamieren!

3. Die Herrschaft des Lammes

2. Thessalonicher 2, Vers 6 bis 8 (Hoffnung für alle): Ihr wißt doch auch, was den Antichrist daran hindert, schon jetzt zu erscheinen, noch vor seiner Zeit. Zwar spüren wir schon überall, wie sich die Mächte des Bösen regen, aber noch werden sie von dem einen aufgehalten. Doch dann wird der Antichrist in aller Öffentlichkeit erscheinen, aber Jesus Christus wird ihn bei seinem Wiederkommen vernichten. Ein Hauch seines Mundes genügt.

Mit diesen drei Versen macht Paulus unmissverständlich deutlich, dass der Teufel – wie es Luther später sagte – wirklich nur der „Affe Gottes“ ist, der lediglich Christus nachäffen, aber nichts wirklich Neues schaffen kann.

Diese Höllengeburt – wird - wodurch auch immer – noch aufgehalten. Letztlich ist sowohl sein Kommen als auch sein Untergang in den Händen Gottes. Der hier gebrauchte Begriff „damit er erst zur festgesetzten Zeit offenbar wird“ meint die von Gott bestimmte und festgesetzte Zeit. Gott selbst bestimmt und begrenzt damit das Wirken des Antichristen. Ein Hauch – ein Wort – aus dem Munde des wiederkommenden Herrn Jesus Christus genügt, und der ganze Spuk hat ein Ende.

Beim Kommen des Antichristen handelt es sich um einen notwendigen Gerichts- und Reinigungsprozess. Es wird sich durch ihn die Spreu vom Weizen trennen, und jeder wird sich entscheiden müssen, ob er sich mit allen Konsequenzen auf die Seite Jesu Christi stellt oder den Weg des geringsten Widerstandes geht und sich somit auf direktem Weg in die Hölle befindet. Das Auftreten des Antichristen wird zugleich das Ende einer lauen Christenheit bedeuten.

Ansatzweise ist „die geheime Macht der Gesetzwidrigkeit schon am Werk“, verborgen und versteckt, bis sie offen und massiv antritt und in der Person des Antichristen der Letztzeit auftritt.

Denselben Gedanken, den Paulus bereits um 51 nach Christus äußert, konkretisiert Johannes 44 Jahre später in seinem 1. Brief, wenn er schreibt, 1. Johannes 2, Vers 18 (Einheitsübersetzung): Meine Kinder, es ist die letzte Stunde. Ihr habt gehört, daß der Antichrist kommt, und jetzt sind viele Antichriste gekommen. Daran erkennen wir, daß es die letzte Stunde ist.

Laut Johannes (1.Johannes 2, 18) gehen dem Antichristen der „Letztzeit” viele Antichristen voraus, die vom Geist des Antichristen geprägt sind. So dass vom Antichristen gesagt werden kann, dass er jetzt schon dem Geiste nach in der Welt ist (1. Johannes 4, 3). Wichtig ist dabei der Hinweis von Johannes, dass die Wirksamkeit der Antichristen Zeichen der „letzten Stunde ist”. Nach Johannes hat die Endzeit, bzw. die „letzte Stunde” schon begonnen. Seinen ersten Brief schrieb er um 95 n.Chr. Mit diesem Hinweis will er seine Leser und uns nicht erschrecken, sondern aufklären. Er will die Gemeinde warnen in falscher Weise in die Zukunft und auf einen Antichristen zu schauen und darüber die Gegenwart zu verkennen.

© Werner de Boor, Die Briefe des Johannes, Seite 65

Die römischen Kaiser Nero Claudius Caesar Augustus Germanicus (37 – 68) und Titus Flavius Domitianus (51 – 96), Adolf Hitler (1889 – 1945), Josef Stalin (1879 – 1953) und auch ein Idi Amin (1928 – 2003) waren solche Vorläufergestalten mit ähnlich menschenverachtenden und religiös gepaartem Sendungsbewusstsein und einem entsprechenden absoluten Macht- und Verehrungsanspruch. Gegen den Antichristen der Letztzeit werden sie alle wie Spielzeug aussehen.

Der Geist des Antichristen ist in unserer Welt wirksam. Die geheime Macht der Gesetzwidrigkeit treibt seit langem bereits ihr Unwesen.

Es gibt keine Achse des Bösen in dieser Welt. Der Böse ist weltweit und mit zunehmender Intensität wirksam.

Ohne diese reale Macht des Bösen ist vieles, was in unserer Welt geschieht, einfach nicht zu begreifen. Ob es sich dabei um das achtjährige Martyrium der Natascha Kampusch oder um das neunfache Wegwerfen neugeborener Kinder in Brandenburg handelt. Im Wittener Ritualmord vom Juli 2001 haben die beiden Täter ihre grausame Tat mit dem Befehl Satans begründet: „Töte! Bringe Opfer! Bringe Seelen!“

Nein, ohne die reale Macht des Bösen ist tatsächlich vieles nicht zu begreifen, was in dieser Welt geschieht. Und dennoch und trotzdem gilt, was Johann Christoph Blumhardt bereits 1852 als Lied getextet hat: Dass Jesus siegt, bleibt ewig ausgemacht. Sein wird die ganze Welt. Denn alles ist nach seines Todes Nacht in seine Hand gestellt. Nachdem am Kreuz er ausgerungen, hat er zum Thron sich aufgeschwungen. Ja, Jesus siegt!

© Feiern und Loben, Nummer 292



Krefeld, den 27. August 2006
Pastor Siegfried Ochs



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