Jesus dient uns - wir dienen einander

Seit 1991 werben die öffentlich rechtlichen Fernsehanstalten mit dem Slogan: „Bei ARD und ZDF sitzen Sie in der ersten Reihe.“ Wo ist eigentlich der beste Platz in der Gemeinde? Da ist es in der Regel doch genau umgekehrt und die letzten Reihen sind die begehrtesten Plätze.

Um die Frage nach den besten Plätzen ging es auch damals. Zwei wollten auf jeden Fall in der ersten Reihe sitzen!

Markus 10, Vers 32 bis 45 (Einheitsübersetzung): Während sie auf dem Weg hinauf nach Jerusalem waren, ging Jesus voraus. Die Leute wunderten sich über ihn, die Jünger aber hatten Angst. Da versammelte er die Zwölf wieder um sich und kündigte ihnen an, was ihm bevorstand. Er sagte: Wir gehen jetzt nach Jerusalem hinauf; dort wird der Menschensohn den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten ausgeliefert; sie werden ihn zum Tod verurteilen und den Heiden übergeben; sie werden ihn verspotten, anspucken, geißeln und töten. Aber nach drei Tagen wird er auferstehen.

Da traten Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, zu ihm und sagten: Meister, wir möchten, daß du uns eine Bitte erfüllst. Er antwortete: Was soll ich für euch tun? Sie sagten zu ihm: Laß in deinem Reich einen von uns rechts und den andern links neben dir sitzen. Jesus erwiderte: Ihr wißt nicht, um was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder die Taufe auf euch nehmen, mit der ich getauft werde? Sie antworteten: Wir können es. Da sagte Jesus zu ihnen: Ihr werdet den Kelch trinken, den ich trinke, und die Taufe empfangen, mit der ich getauft werde. Doch den Platz zu meiner Rechten und zu meiner Linken habe nicht ich zu vergeben; dort werden die sitzen, für die diese Plätze bestimmt sind.

Als die zehn anderen Jünger das hörten, wurden sie sehr ärgerlich über Jakobus und Johannes.

Da rief Jesus sie zu sich und sagte: Ihr wißt, daß die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen mißbrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.

Bereits zum dritten Mal vertraut Jesus seinen zwölf Jüngern sein Geheimnis an. Er weiht sie ein in das Mysterium seines bevorstehenden Kreuzestodes und seiner Auferstehung.

Insgesamt dreimal vertraut er sich so seinen Jüngern an:

- In Cäsera Philippi: Markus 8, Vers 31

- In Galiläa: Markus 9, Vers 31

- und hier auf dem Weg nach Jerusalem

Jetzt scheint es ernst zu werden. Ein seltsamer Pilgerzug setzt sich in Bewegung. Zumindest stutzt die Masse. Wie viele den Weg damals säumten, wird nicht gesagt. Jesus geht voraus. Die Masse wundert sich und die Jünger haben Angst. Es scheint ernst zu werden. Entschlossen geht Jesus voran und seiner Bestimmung entgegen, auf das Kreuz zu.

Zum dritten und zum letzten Mal vertraut sich Jesus jetzt seinen Jüngern an. Detaillierter als bisher klärt er sie über seinen letzten Weg auf. Sieben Stationen seines Kreuzweges beschreibt er hier:

- Auslieferung an die Hohenpriester

So bezeichnet Jesus den Verrat des Judas – als Auslieferung an das Leiden. Lukas 21, Vers 22 (Einheitsübersetzung): Doch seht, der Mann, der mich verrät und ausliefert, sitzt mit mir am Tisch.

- Verurteilung zum Tod durch den Hohen Rat

- Auslieferung an die Römer

- Verspottung

- Geißelung

- und Tod.

Nach Matthäus spricht Jesus sogar vom Kreuzigen.

Doch am Ende wird die Auferstehung Jesu von den Toten stehen. Nach drei Tagen – sagt Jesus – wird der Menschensohn auferstehen.

Genauso wie er es ansagt, wird es sich wenige Tage später ereignen. Sie hätten es wissen müssen. Doch jedes Mal – auch diesmal - verstehen sie ihn nicht, hören anscheinend überhaupt nicht richtig zu und wagen es auch nicht, ihren Freund und Meister nach der Bedeutung dieser geheimnisvollen Worte zu fragen.

Beim ersten Mal versucht Petrus Jesus noch energisch davon abzubringen. Beim zweiten Mal diskutieren sie anschließend, welche Rolle sie im anbrechenden Reich Gottes spielen werden und wer von ihnen welches Ministerium bekommt. Und auch jetzt geht es schon wieder um die Frage nach den besten Plätzen.

Niemand sonst – außer diesen Zwölfen – wird von Jesus in das größte Geheimnis aller Zeiten eingeweiht. Und sie hören nicht zu. Sie begreifen nichts. Das wollen sie nicht hören. Das passt nicht in ihre Vorstellungswelt: Ein leidender Messias, ein sterbender Christus, ihr Freund zwischen Himmel und Erde.

Stattdessen gehen Johannes und Jakobus auf Jesus zu: Meister, wir möchten, daß du uns eine Bitte erfüllst. Er antwortete: Was soll ich für euch tun? Sie sagten zu ihm: Laß in deinem Reich einen von uns rechts und den andern links neben dir sitzen.

Hier gibt es zwischen den Berichten von Matthäus und Markus einen kleinen aber wichtigen Unterschied. Nach Matthäus bittet die Mutter der Beiden Jesus um die besten Plätze für ihre Söhne. Ob selbst erbeten, wie Markus festhält oder von der Mutter inszeniert wie Matthäus schreibt, letztlich läuft es auf dasselbe hinaus: Sie beanspruchen in der neuen Regierung die besten Plätze. Sie möchten in der ersten Reihe sitzen, links und rechts von Jesus: Außenminister und Finanzminister im Gottesstaat sein. Damit rechnen sie. Denn sie sind auf den Weg nach Jerusalem. Sie erwarten das Ende der römischen Besatzungsmacht und die feierliche Thronbesteigung ihres Herrn. Und dafür wollen sie sich auf jeden Fall schon einmal die besten Plätze reservieren lassen.

Dies ist eine furchtbar frustrierende Geschichte. Anscheinend haben seine Jünger nichts – aber auch gar nichts gelernt. Es ist doch gerade mal ein Kapitel her und 100 km weg gewesen, als Jesus dem Größenwahn der Zwölf ein Kind entgegenstellte. Sie haben scheinbar nichts verstanden. Nach dem Bericht des Lukas werden sie sogar noch nach dem letzten Abendmahl (22, Vers 24 bis 30) miteinander darüber streiten, wer von ihnen wohl der Größte ist.

Johannes und Jakobus – die Jesus die Donnersöhne nannte (Markus 3, Vers 17) – was wohl einen Zug zum Übereifer bei ihnen erahnen lässt. Sie waren es, die ein samaritanisches Dorf mit Feuer vom Himmel vernichten wollten, nur weil es Jesus die Aufnahme verweigerte (Lukas 9, Vers 54).

Man nimmt an, dass ihre Mutter – Salome – die Schwester der Mutter Jesu war. Dann wären die Söhne des Zebedäus folglich Jesu Vettern. Vielleicht lässt sich so auch am besten ihre – sagen wir es ruhig – unverschämte Frage erklären. Auf Grund ihrer Verwandtschaft fragten sie etwas, was sich sonst so keiner von den Jüngern traute. Es scheint sich damit fast um ein klassisches Nähe-Distanz-Problem zu handeln. „Blut ist dicker als Wasser“ sagt man. Die Verwandtschaft geht vor. Vielleicht lässt sich so die Frage der beiden Donnersöhne am besten begründen. Sie überschreiten eine Grenze, weil sie die Distanz auf Grund ihrer verwandtschaftlichen Nähe nicht wahren.

Jesus schlägt den Beiden ihre Bitte kategorisch zweimal aus, trotz ihrer lautstarken Zusicherung das sie denselben Kelch trinken und dieselbe Taufe auf sich nehmen können. Mit diesen beiden Bildern beschreibt Jesus nochmals seinen Leidensweg. Er versteht sein Sterben als das Trinken des „Zornesbechers“ (Jesaja 51, Vers 17 und 22; Jeremia 25, Vers 15) Gottes für die Strafe des Volkes und als Bluttaufe, als Untergetaucht werden in das Leiden, ja als vom Leid ertränkt zu werden.

- Gibt es bevorzugte Jünger? Die Beiden wollen es sein.

- Gibt es in der Gemeinde Jesu Stammplätze oder Ehrenplätze?

- Gibt es benachteiligte Jünger? Dagegen sträuben sich die Zehn.

- Gibt es in der Gemeinde Jesu Eck- oder Randplätze?

Ehrgeiz auf der einen und Eifersucht auf der anderen Seite. Und das alles im Angesicht seines Todes, auf dem Weg nach Jerusalem. Klasse! Ein wirklich tolles Team, eine hervorragende Mannschaft!

Jetzt gibt es noch einmal für alle Nachhilfeunterricht in Sachen Größe und Dienst. Er stellt die negativen Machtstrukturen der Welt dem Leben im Jüngerkreis und der Gemeinde gegenüber und sagt: „Bei euch aber soll es nicht so sein!“

Im Griechischen Text findet man in der Aussage Jesu sogar eine gehörige Portion Sarkasmus und Ironie im Blick auf die weltliche Macht. Genau genommen sagt Jesus hier: „Die den Anschein erwecken, zu herrschen über die Völker!“ Später wird Jesus Pilatus daran erinnern und ihm sagen, Johannes 19, Vers 11 (Hoffnung für alle): Du wärest machtlos, hätte dir Gott keine Macht über mich gegeben.

Nicht Machtstrukturen an sich werden von Jesus negativ beurteilt, sondern deren Perversion: der Machtmissbrauch, die Ausbeutung und die Unterdrückung. Wir dürfen dieses Wort Jesu also nicht gegen das andere Wort ausspielen, wo er ausdrücklich und eindeutig Petrus z.B. eine klar umrissene Leitungsverantwortung für die Gemeinde anvertraute (Matthäus 16, Vers 18), die Leitungsaufgaben durch Apostel, Diakone und Älteste, wie wir sie in der Apostelgeschichte finden, oder auch der Satz aus dem Hebräerbrief 13, Vers 17 (Einheitsübersetzung): Gehorcht euren Lehrern und folgt ihnen.

Nicht die Leitungsaufgaben an sich werden negativ beurteilt, sondern der Missbrauch und das Missverständnis, als würde ein besonderes Amt auch eine besondere Nähe zu Gott bedeuten oder etwas sein, dass mich über andere erhebt. In Christus verblassen alle gesellschaftlichen Unterschiede (Galater 3, Vers 28; Kolosser 3, Vers 11) und als Christen werden wir alle miteinander königliche Priester (1. Petrus 2, Vers 9) und Briefe Christi (2. Korinther 3, Vers 3) – ja seine Stellvertreter auf Erden genannt.

Dennoch geht es in der Gemeinde Jesu nicht um eine Gleichmacherei, sondern um eine den geistlichen Gaben entsprechende Beauftragung in aller Verschiedenheit.

Die Gemeinde Jesu darf nicht zu einem Machtinstrument verkommen, sondern muss ein Dienstleistungsunternehmen bleiben. Es dürfen keine Herrschaftsstrukturen geschaffen werden, die andere erniedrigen und ausbeuten, sondern notwendige Strukturen und Leitungsverantwortung muss immer ein Dienst für andere sein und bleiben.

An Christus haben wir dabei Maß zu nehmen (Philipper 2, Vers 5 – 8)!

Bei der deutschen Bundesbahn gibt es zwei Klassen. In der Gemeinde Jesu gehören alle – egal wie jung oder wie alt, egal welches Geschlecht, welche Hautfarbe und wie auch immer der Bildungsstand oder die soziale Stellung sein mag, alle sitzen in ein und derselben Klasse! Auch die Aufgabe oder die Funktion, die man in der Gemeinde ausübt, ändert nichts daran. Jegliches hierarchisches Klassendenken widerspricht dem Geist Christi.

Weshalb nur wollen wir immer eine besondere Rolle spielen und nehmen dennoch nicht den Platz ein, den Jesus uns durch das Geschenk seiner Gaben und einer damit verbunden Aufgabe zugewiesen hat? Weshalb müssen wir immer aus der Rolle fallen und etwas Besonderes sein?

Liegt es vielleicht daran, dass wir noch nicht wirklich begriffen haben, dass jeder Einzelne von uns bereits etwas Besonderes ist? Wir werden als Christen Diener Gottes genannt! Doch dadurch definieren wir uns nicht, sondern durch das, was uns von anderen abhebt und das ist teuflisch! Ehrgeiz und Eifersucht zerstören, gegenseitiger Dienst baut auf.

Wir sind als Christen geadelt Diener Gottes zu sein! So hat es vor Jahren Arno Backhaus einmal auf den Punkt gebracht: Bin kein Genie wie Einstein, werde nie auf dem Mond spazieren gehen. Habe keine Stimme wie der Opernstar Caruso, und in der Uno stand ich nie am Rednerpult. Mein Kopf wird nie auf Briefmarken erscheinen, keine Straße je nach mir benannt. Es wird keine Fernsehserie in acht Folgen von mir geben, und bei der Wahl zum Papst war ich bisher nicht im Gespräch.

Ich bin nur einer von Millionen im Telefonbuch, ABER ICH BIN EIN DIENER DES SCHÖPFERS DIESER WELT.

Ich werde keinen Klassiker schreiben, kein Herz verpflanzen, nie in der Bundesliga Torschütze sein, nie mit Bud Spencer Schlägereien provozieren. Für einen Dressman habe ich nicht das Gesicht.

Ich habe kein Konto wie Onasis. Im Buch der Rekorde kommt mein Name nicht vor. Ich habe kein Interesse an Affären und Intrigen, und so kam die Bildzeitung bisher ohne mich aus.

Ich bin nur einer von Millionen im Telefonbuch, ABER ICH BIN EIN DIENER DES SCHÖPFERS DIESER WELT.

Ich jette nicht zu Firmenkonferenzen, poker nicht mit Ölscheichs um die Zukunft der Welt. Mit meiner Logik könnt ich nie den Schachweltmeister schlagen. Und was ich male, bringt am Kunstmarkt keine Mark.

Ich bin nur einer von Millionen im Telefonbuch, ABER ICH BIN EIN DIENER DES SCHÖPFERS DIESER WELT.

© Arno & Andreas CD „Die Platte”, 1980



Krefeld, den 24. April 2005
Pastor Siegfried Ochs



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