1. STATION

Jesus wird zum Tode verurteilt

 

Der Kreuzweg beginnt mit der Verurteilung Jesu. Die Evangelientexte berichten von Kompetenzstreitigkeiten zwischen jüdischen Behörden und der römischen Obrigkeit. Schließlich hat Pilatus zu entscheiden.

Dabei entsteht ein kurzes Gespräch von äußerster Tragweite.

Pilatus fragt: ,,Bist du der König der Juden?" Jesus antwortet: ,,Das sagst du. Ich bin dazu in die Welt gekommen, daß ich für die Wahrheit zeuge. Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme."

Worauf Pilatus die skeptische Frage stellt: ,,Was ist Wahrheit?"

Schließlich läßt er Jesus geißeln, und die Soldaten setzen ihm die Dornenkrone auf und legen ihm den Purpurmantel an. Dann wird er hinausgebracht und der Volksmasse gezeigt. Als die Hohenpriester und die Volksmasse ihn sehen, schreien sie noch lauter: ,,Kreuzige ihn, kreuzige ihn!"

 

Soweit die Evangelientexte, die das Bild der ersten Station bestimmen, und drei Komponenten sind es, die den Kreuzweg einleiten:

1. Christus, der von sich sagt, für die Wahrheit zu zeugen und dafür geschlagen und verhöhnt wird.

2. Die Volksmasse, die seine Ausschaltung durch den Kreuzestod verlangt.

3. Pilatus, der ,,keine Schuld an ihm findet" und gleichzeitig seine eigene Unschuld beteuert: ,,ich wasche meine Hände in Unschuld!"

 

Ein einfaches Bild - aber was geschieht wirklich? Was ist die ,,versteckte Wirklichkeit", die das Bild erfaßt?

Scheint es nicht, als sollte hier die Stellung der Wahrheit selbst aufgezeigt werden? Und dabei ergibt sich eine Situation, die sich immer wieder im Leben von uns Menschen und unserer Gemeinschaft wiederholt: Wir verletzen die Wahrheit und wollen es nicht wahrhaben, wir bemerken nicht, daß wir dann genauso ahnungslos zu der Masse gehören, die ,,kreuzige ihn" schreit.

 

Ein Beispiel aus der heutigen Zeit möchte hierzu anfügen: Alle, auch die Wissenschaft , wissen, daß Abtreibung ein Töten ist. Die Obrigkeit jedoch gibt sie frei, weil die Meinungsmacher sie fordern und die Masse ihnen zustimmt. Ist es nicht die gleiche Situation der Wahrheit vor Pilatus und dem Volk?

 

Die Bilder des Kreuzweges sind Zeichen, in denen unser persönliches Leben am tiefsten angesprochen wird - wir müssen uns nur ansprechen lassen.

Aus diesen und ähnlichen Gedanken, die sich aus den Bildern der Texte ergeben, geschieht schließlich die Gestaltung der Stationen: Pilatus. der seine Hände in Unschuld wäscht (oben links, als die Seite des Nichtwissens), und das schreiende Volk (unten rechts auf der Seite des Irrationalen, Unbewußten), und dazwischen, größer als das andere, Jesus, die Wahrheit, ohne Regung und unveränderlich, auch in der Verhöhnung und Verurteilung durch die Menschen.

 

Gott aber hat erfüllt, was er durch den Mund aller seiner Propheten zuvor verkündigt hat: daß sein Christus leiden sollte.

Apostelgeschichte 3, Vers 18