Itteressieren Sie sich für Kunst – für die Bilder von Rembrandt, van Gogh oder Picasso?
Kennen Sie sich da aus?
Ich bewundere die Leute, die einen an die Hand nehmen, durch eine Galerie führen und einem die Bilder erklären können, die da an den Wänden hängen.
Dabei lässt sich über Geschmack bekanntlich streiten. Was für den einen Kunst ist, ist für einen anderen allerhöchstens noch Kitsch.
Nun habe ich uns heute morgen kein Bild mitgebracht, aber das Bild das Paulus in Galater 4 zeichnet, ist genauso schwer zu erklären, wie so manches Bild eines modernen Künstlers.
Galater 4, Verse 21 bis 31: Ihr wollt euch dem Gesetz unterwerfen. Ich frage euch: Hört ihr nicht, was das Gesetz sagt?
Im Buch des Gesetzes steht: Abraham hatte zwei Söhne, einen von der Sklavin Hagar und einen von der freien Frau Sara. Der Sohn der Sklavin verdankte sein Leben den menschlichen Kräften, der Sohn der Freien verdankte es der Zusage Gottes.
Diese Erzählung hat einen tieferen Sinn: Die beiden Mütter bedeuten zwei verschiedene Ordnungen Gottes.
Die eine Ordnung, für die Hagar steht, wurde am Berg Sinai erlassen und bringt Sklaven hervor. Das Wort Hagar bezeichnet nämlich den Berg Sinai in Arabien. Er entspricht dem jetzigen Jerusalem; denn dies lebt mit seinen Kindern in der Sklaverei.
Das Jerusalem dagegen, das im Himmel bereitsteht, ist frei. Das ist unsere Mutter! Von ihr heißt es: »Freu dich, du Unfruchtbare, obwohl du keine Kinder zur Welt bringst! Juble laut, obwohl du nicht in Wehen kommst! Denn die verlassene Frau hat viele Kinder, mehr als die, die den Mann hat.«
Brüder und Schwestern, ihr verdankt wie Isaak euer Leben der Zusage Gottes.
Aber schon damals verfolgte der Sohn, der aus menschlichen Kräften geboren wurde, den andern, der sein Leben vom Geist Gottes hatte. So ist es auch jetzt. Aber was steht in den Heiligen Schriften? »Jage die Sklavin und ihren Sohn fort; denn der Sohn der Sklavin darf nicht mit dem Sohn der Freien zusammen erben.«
Begreift doch, Brüder und Schwestern: Wir sind nicht Kinder der Sklavin, sondern der Freien!
Paulus zeichnet hier ein Bild, das für uns heute eher missverständlich ist. Auf diesem Bild sehen wir einen Mann – zwei Frauen und zwei Kinder, wovon der Sohn der Einen von Paulus eher blass gezeichnet ist und nur leicht angedeutet bleibt.
Um dieses Bild verstehen zu können, müssen wir zurück an den Anfang des 3. Kapitels dieses Briefes, wo es in den beiden ersten Versen heißt:
Ihr unvernünftigen Galater! Welcher Dämon hat euch um den Verstand gebracht? Habe ich euch denn nicht Jesus Christus, den Gekreuzigten, in aller Deutlichkeit vor Augen gestellt? Ich möchte euch nur eines fragen: Hat Gott euch seinen Geist gegeben, weil ihr das Gesetz befolgt habt oder weil ihr die Botschaft gehört und angenommen habt, daß es vor Gott allein auf den vertrauenden Glauben ankommt? und zum 20. Vers unseres heutigen vierten Kapitels: Könnte ich nur bei euch sein und so zu euch reden, daß es euch ins Herz dringt! Ich bin ratlos, was ich mit euch machen soll.Paulus unternimmt hier einen letzten massiven Versuch, die Galater wieder zurück auf den Weg des Glaubens zu führen. Seine Ratlosigkeit lässt ihn zum Pinsel greifen und für seine damaligen Leser ein Bild in drastischen Farben malen, das ihnen unter die Haut gehen und ihnen dabei zugleich die Augen öffnen soll. Das Bild, dass Paulus hier zeichnet war für die damaligen Leser seines Briefes so vertraut wie uns das Bild von
Mona Lisa, auch wenn wir bis heute darüber rätseln, weshalb die Frau, die Leonardo da Vinci gemalt hat, und die man im Louvre in Paris bewundern kann, so lächelt.Wie gesagt, Paulus wird hier massiv und deutlich für seine damaligen Leser. Sein schriftliches Gespräch mit den Galatern über Gesetz und Gnade, Werke und Glauben ist lang geworden. Er hat ihnen Abraham – ihren Stammvater - als Mann des Glaubens und nicht der Werke vorgestellt. Er hat ihnen erklärt, dass das mosaische Gesetz auf Christus hinweist und in Christus seine Erfüllung findet. Er hat sie immer und immer wieder eingeladen den Weg des Glaubens zu gehen, den sie durch ihre Gesetzlichkeit verlassen haben. Er zeigte ihnen, das sie sich heute genauso ängstlich verhalten, wie vor ihrer Bekehrung und sich neu abhängig gemacht haben von so genannten "heiligen" Tagen, Stunden und Orten. Obwohl sie doch den lebendigen Gott kennen gelernt haben und von seiner Liebe leben, meinen sie jetzt wieder, sich die Liebe Gottes verdienen zu müssen. Schließlich wird Paulus persönlich und erinnert die Christen in Galatien daran, wie sie ihn als Boten Gottes anerkannten und aufnahmen – bis die Gesetzestreuen kamen und die jungen Christen verwirrten und sie von Paulus entfremdeten.
Paulus geht auf die Argumente seiner Leser ein. Ihr nehmt das Gesetz doch ernst, oder? Okay, dann hört doch auch genau hin, was da im Gesetz tatsächlich gesagt wird. Lasst euch von anderen nicht etwas vorsetzen, was überhaupt nicht stimmt. Hört doch hin, was da gesagt wird. Paulus bezeichnet hier im 21. Vers nicht nur die 10 Gebote oder die 5 Bücher Mose als das Gesetz, sondern er bezeichnet mit Gesetz hier das gesamte Alte Testament.
Hört hin! Hört genau hin! Macht eure Ohren richtig auf. Lasst euch nichts von den Gesetzestreuen einreden, was gar nicht biblisch ist. Zusammen mit den Galatern stehen auch wir in der Gefahr mit vorgefassten Meinungen nicht nur die Bibel zu lesen, sondern auch eine Predigt zu hören. Jemand hat einmal gesagt: "Jeder hört in der Predigt, was er will und dies dann aus jeder heraus!"
Die Galater hörten Paulus nicht mehr richtig zu. Sie hatten ihre vorgefasste Überzeugung, die ihnen die gesetzestreuen Judenchristen beigebracht hatten. So zählte für sie nicht mehr das, was sie hatten – einen gnädigen Gott – sondern nur noch das, was sie taten – ihre christlichen Werke. Die Galater lebten nicht mehr von dem, was Gott in Christus für sie getan hatte, sondern sie lebten von dem, was sie für Gott taten. Für die Galater stand nicht mehr Christus im Zentrum, sondern das menschliche Ich. Dabei hatten sie anfangs auf die Predigt des Paulus gehört und was dabei noch viel wichtiger ist, sie hatten auf Jesus gehört, der durch das, was Paulus sagte, zu ihnen sprach. Sie hatten auf die Botschaft des Evangeliums gehört, das man allein aus Gnaden gerettet wird und nicht durch seine Werke, dass Christus alleine reicht, zum Sterben und zum Leben. Darauf hatten sie gehört, bis die anderen kamen, die ihnen sagten: "Christus alleine reicht nicht! Es kommt auch noch auf euch an, auf eure Taten und auf euren Lebensstil und darauf, dass ihr am richtigen Tag und am richtigen Ort und mit der richtigen Kleidung Gottesdienst feiert. Es kommt auch auf das an, was ihr eßt und überhaupt darauf, dass ihr das Gesetz einhaltet.
Nachdem die Galater das gehört hatten, reichte ihnen Christus alleine nicht mehr und der Glaube an den gekreuzigten und auferstandenen Jesus wurde für sie immer mehr zu einem Erfüllen von Regeln und Geboten, von Ordnungen und Gesetzen. Christus war nach wie vor wichtig für sie. Aber genauso wichtig und – wie der Galaterbrief zeigt – scheinbar noch wichtiger als Jesus – wurde die Form, der Lebensstil, der äußere Rahmen, das was und vor allen Dingen wie sie es taten.
Hört doch richtig hin, sagt Paulus ihnen hier. Wenn ihr euch schon auf die Bibel beruft, dann bitte doch richtig und nicht durch eine vorgefasste Meinung, die ihr von anderen übernommen habt.
Jetzt greift er zu Pinsel und Papier und zeichnet ihnen ein drastisches Bild: Ein Mann – zwei Frauen – zwei Kinder, so sieht das Bild aus, das Paulus hier malt. Der Mann, den wir sehen, heißt Abraham, der Stammvater des Glaubens. Er dürfte so um 2000 bis 1850 vor Christus gelebt haben. Es war ihr Abraham und sie erkannten ihn auf dem Bild wieder. Mit ihm fing die Geschichte des Volkes Israel an.
Wir kennen vielleicht das Kinderlied: "Vater Abraham hat viele Kinder. Viele Kinder hat Vater Abraham." Und genau das bedeutet sein Name: "Vater einer Menge". Das war das, was Gott ihm sagte, 1. Mose 12, Verse 2 bis 3:
Ich werde dich zu einem großen Volk machen, dich segnen und deinen Namen groß machen. Ein Segen sollst du sein. Ich will segnen, die dich segnen; wer dich verwünscht, den will ich verfluchen. Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen.Deshalb spielt Abraham für die Leser des Galaterbriefes – für die Judenchristen – eine so große und wichtige Rolle.
Was für die Leser seines Briefes die Abstammung von Abraham bedeutete, ist für uns heute vielleicht vergleichbar mit unserer deutschen Staatsbürgerschaft. Wir dürfen hier leben. Wir dürfen uns an den Wahlen beteiligen und alle Vorzüge unserer Staatsbürgerschaft genießen. Wir brauchen keine "Greencard" um hier arbeiten und leben zu können und wir müssen keine Angst haben, ausgewiesen zu werden.
Was für uns die deutsche Staatsbürgerschaft ist, war für die Leser seines Briefes ihr Ahnherr Abraham.
Auf ihn beruft ihr euch. In Ordnung. Aber hört hin, was wirklich gesagt wird und Paulus nimmt den Pinsel zur Hand und malt zwei Frauen:
- Hagar, die Sklavin
und
- Sara, die Freie
Für seine Leser war das Bild deutlich. Hagar war Abrahms natürlicher Versuch der Verheißung Gottes nachzuhelfen.
Erinnern wir uns: Gott verheißt Abraham und Sara einen Sohn. Er ist 75 Jahre alt (1. Mose 12, Vers 4). Wenn man wie die Beiden, so oft dasselbe von Gott gesagt bekommt, dann muss man sich dem stellen. Wenn Gott einem mit einer Sache so permanent in den Ohren liegt, dann gibt es keine Wahl. Irgendwie muss man darauf reagieren. Entweder man glaubt dem lebendigen Gott und vertraut auf seine Zusagen, oder aber man macht es wie Sara: Man hilft Gott bei seiner Arbeit. So kommt Sara auf den glorreichen Einfall mit ihrer Sklavin. Sie will Gott helfen, ihn bei der Erfüllung seiner Zusage tatkräftig unter die Arme greifen.
Nicht das wir hier etwas falsch verstehen. Sicherlich ist wie schon einmal im Garten Eden - so auch hier wieder - und sicherlich nicht zum letzten Mal - eine Frau an der Misere schuld. Aber, und das ist ja ganz wichtig und entscheidend. Abraham ist der Vater des Ismael.
So haben also beide erst einmal mit menschlichen Möglichkeiten auf die Zusage Gottes geantwortet. Sie haben nachgedacht. Sie haben dabei festgestellt, dass Sara unfruchtbar ist und der gute Abraham ja auch nicht mehr der Jüngste ist.
Nach 10 Jahren nehmen die Beiden die Erfüllung von Gottes Verheißung in die eigene Hand und Abraham ging zu Hagar. Dieser Umweg erweist sich als Irrweg. Ismael und seine Nachkommen werden es Isaak und seinen Brüdern schwer machen (1. Mose 25, Vers 18). Ismael "Gott wird hören" wurde der Vorfahre der Araber, die bis heute trotz aller Friedensbemühungen immer noch die Feinde der Juden sind.
Menschlich und allzu verständlich fällt die erste Reaktion der Beiden auf auf Gottes Zusage aus.
Als Gott seine Zusage 13 Jahre später erneuert – Abraham ist mittlerweile 99 Jahre alt (1. Mose 17, Vers 1) – und er dabei unmissverständlich deutlich macht, dass Sara und Abraham einen gemeinsamen Sohn haben werden, kann Abraham nur noch lachen. Mit der Bekanntgabe des Namens Issak beweist Gott, dass er auch Humor hat. Denn Isaak bedeutet "Er wird Lachen".
Das ist das Bild, das Paulus malt:
1 Mann – zwei Frauen und zwei Kinder
Jetzt dreht sich Paulus um und erklärt das Bild, Verse 24 und 26 (nach der Hoffnung für alle):
Am Beispiel dieser beiden Frauen will uns Gott zeigen, wie verschieden die beiden Bündnisse sind, die er mit den Menschen geschlossen hat. Den einen Bund schloß Gott auf dem Berge Sinai mit dem Volk Israel, als er ihm durch Mose das Gesetz gab. Dieses Gesetz aber knechtet uns und bringt nur Sklaven hervor wie Hagar.Die andere Frau aber, von der wir abstammen, ist frei. Sie weist auf das neue Jerusalem im Himmel hin, auf den neuen Bund, den Gott mit uns durch Jesus Christus geschlossen hat.
Nebenbei bemerkt, können wir hier von Paulus etwas über unseren Umgang mit dem Alten Testament lernen. Er legt den alttestamentlichen Text nicht nur historisch, sondern auch gleichnishaft (allegorisch) aus und macht damit exemplarisch deutlich, dass das AT mehr für uns sein kann, als nur ein Geschichtsdokument wie die Zeitung von gestern, eben ein lebendiges Wort des lebendigen Gottes.
Ihr beruft euch auf Abraham. Das ist in Ordnung. Aber die entscheidende Frage lautet doch: Wer ist denn eure Mutter? Die Sklavin oder die Freie? Seid ihr Abrahams Erben auf Grund der Verheißung und des Glaubens – wie Isaak – oder seid ihr Abrahms Erben auf Grund menschlicher Anstrengung und Leistung – wie Ismael?
Wer ist eure Mutter?
- Das Gesetz
oder
- Die Verheißung
- Hagar, die Sklavin
oder
- Sara, die Freie
Seine Leser können fast nicht anders als mit Paulus zu antworten: Wir sind nicht Kinder der Sklavin, sondern Kinder der Freien.
Aber er malt das Bild noch fertig und zeigt den Konflikt zwischen den Kindern auf. Ismael verfolgt den Isaak. Nicht nur damals und tatsächlich, sondern eben auch gleichnishaft und übertragen auf heute, wie beim älteren Sohn aus Lukas 15, der sich gegen seinen jüngeren Bruder stellte. Der Gefangene verfolgt den Freien. Der gesetzlich und auf seine fromme Leistung pochende wird sich immer gegen den stellen, der sich allein durch Christus definiert.
Der Konflikt ist vorprogrammiert. Menschliche Leistung gegen göttliche Gnade. Ismael war 14 Jahre älter als Isaak.
Mit diesem letzten Pinselstrich will Paulus seinen Lesern helfen, sich von der Fessel der Gesetzestreuen zu befreien, indem er ihnen deutlich macht, dass der religiöse Mensch, für den die Form und das Einhalten von Regeln unendlich wichtig ist, sich immer gegen den stellen wird, der sich allein durch Christus definiert.
Wer soll eure Mutter sein, fragt Paulus? Wie lautet euer Fundament:
- Gesetz oder Gnade
- Religion oder Glaube
- Leistung oder Liebe
- Ich oder Christus
Wodurch haben wir – um im Bild zu bleiben – die deutsche Staatsbürgerschaft verdient? Richtig, durch nichts! Sie ist uns quasi als Geschenk mit in die Wiege gelegt worden.
Was müssen wir tun, um die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten? Richtig, auch nichts! Wir konnten sie uns weder verdienen, noch können wir sie abarbeiten.
Aber, was wir tun können und sollten – um im Bild zu bleiben – ist uns unserer Staatsbürgerschaft entsprechend als Deutsche zu verhalten, wie z.B. unser Bundespräsident Johannes Rau beim letzten Besuch in
Israel, oder der damalige Bundeskanzler Willy Brandt in Polen.