Jesus redet Klartext

Am letzten Sonntag haben wir einige statistische Umfragen serviert bekommen: Wie viel die Bundesdeutschen im Durchschnitt für ihre Schönheit ausgeben und wie viele Bundesbürger sich pro Jahr Fett absaugen lassen.

Wir alle leben mit und von den unterschiedlichsten Umfragen und deren Ergebnissen.

Laut Politbarometer vom vergangenen Freitag würde es – wenn heute Bundestagswahl wäre – weder eine rot-grüne noch eine schwarz-gelbe Mehrheit geben.

Und dem gestrigen Umfrageergebnis einer internationalen Studie zufolge sind wir Deutschen wieder einmal Weltmeister im Jammern. 34% der Deutschen haben Angst vor Arbeitslosigkeit, 90% misstrauen der Regierung und nur 8% rechnen mit einem Konjunkturanstieg.

Westdeutsche Zeitung vom 29. Januar 2005, Seite 1

Eine Umfrage der ganz anderen Art führte Jesus bei seinen 12 Jüngern durch, Markus 8, Verse 27 bis 33 (Einheitsübersetzung): Jesus ging mit seinen Jüngern in die Dörfer bei Cäsarea Philippi. Unterwegs fragte er die Jünger: Für wen halten mich die Menschen? Sie sagten zu ihm: Einige für Johannes den Täufer, andere für Elija, wieder andere für sonst einen von den Propheten.

Da fragte er sie: Ihr aber, für wen haltet ihr mich? Simon Petrus antwortete ihm: Du bist der Messias!

Doch er verbot ihnen, mit jemand über ihn zu sprechen.

Dann begann er, sie darüber zu belehren, der Menschensohn müsse vieles erleiden und von den Ältesten, den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten verworfen werden; er werde getötet, aber nach drei Tagen werde er auferstehen. Und er redete ganz offen darüber.

Da nahm ihn Petrus beiseite und machte ihm Vorwürfe.

Jesus wandte sich um, sah seine Jünger an und wies Petrus mit den Worten zurecht: Weg mit dir, Satan, geh mir aus den Augen! Denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen.

Seine Frage war einfach und einschneidend. Seine Frage markiert nicht nur den Wendepunkt im Leben des Mannes aus Nazareth, sondern auch im Leben seiner Nachfolger.

Bis zu dieser Umfrage verläuft das Leben der Jesusjünger noch in einigermaßen geordneten Bahnen, und Jesus scheint auf der Gewinnerseite zu stehen. Da war die große Bergpredigt. Da waren Heilungen und sogar Totenauferweckungen. Da waren große Reden und unvergessene Gleichnisse. Da waren großartige Taten und eine riesige Anhängerschaft. Da wurden Tausende mit zwei Fischen und fünf Broten gespeist. Da waren die Massen begeistert, die Politiker irritiert und die Jünger von Jesus fasziniert.

Diese Frage „Für wen halten mich die Leute“ verändert alles schlagartig. Mit dieser Frage leitet Jesus seine Passions- und Leidenszeit ein.

Mit Markus 8 befinden wir uns an einem entscheidenden Wendepunkt im Leben des Mannes aus Nazareth. Nach dieser Frage ist nichts mehr, wie es war, weder im Leben Jesu, noch im Leben seiner Nachfolger.

Alle drei synoptischen Evangelien berichten übereinstimmend, dass nach dieser Frage und dem Bekenntnis der Zwölf, nach der Selbstoffenbarung Jesu und seiner ersten Leidensankündigung die radikale Aufforderung an seine Jünger steht, ihm jetzt mit Haut und Haaren nachzufolgen, selbstvergessen sich täglich neu auf den Kreuzweg zu begeben (Matthäus 16, Verse 24 bis 28; Markus 8, Verse 34 bis 9, Vers 1; Lukas 9, Verse 23 bis 27).

Jesus führt keine repräsentative Meinungsumfrage durch, sondern er fragt seine Jünger danach, was die Leute über ihn sagen. Die Antwort, hört sich auf den ersten Blick ganz gut an: Sie halten Dich für einen bemerkenswerten Menschen. Manche für Johannes den Täufer, andere für Elija, wieder andere für einen der alten Propheten. Du stehst hoch im Kurs Jesus, lautet das Ergebnis dieser Umfrage. Auf der Beliebtheitsskala stehst Du zur Zeit ganz oben.

Von solchen Ergebnissen von damals können wir Christen heute nur träumen. Damals wurde Jesus buchstäblich die Bude eingerannt, und er fand kaum noch Zeit zum Ausruhen, geschweige denn zum vertrauten Gespräch im Jüngerkreis. Heute werden die Kirchen immer leerer, und in diesem Jahr wird erstmals eine Katholische Kirche in Krefeld endgültig ihre Türen schließen.

Trotz des hervorragenden Umfrageergebnisses finden wir hier das erste Paradox von insgesamt Vieren in dieser Geschichte:

1. Die Menschen sind von Jesus begeistert und haben doch nichts von ihm begriffen!

Die Volksmeinung über Jesus war keine Anerkennung, sondern eine Verkennung Jesu.

Fritz Rienecker, Das Evangelium des Lukas, Seite 236 bis 237

Dass Jesus den großen Nachrichtenmagazinen immer wieder eine Titelgeschichte wert ist, bedeutet eben nicht, dass er als Herr und Heiland wirklich ernst genommen wird, sondern zeigt nur seinen Einfluss auf unsere abendländische Kultur.

Die Frage nach der Volksmeinung und dem anschließenden Bekenntnis der Jünger eröffnet nicht nur die Passions- und Leidensgeschichte Jesu, sondern stellt auch eine bis heute nicht aufzuhebende Trennungslinie zwischen oberflächlicher Jesusbegeisterung und radikaler Christusnachfolge dar.

Auf der einen Seite sind die Menschen damals wie heute fasziniert von Jesus. Laut einer Spiegelumfrage war Jesus 1999 weitaus beliebter als der Papst, Gandhi oder der Dalai Lama.

Jesus hat sich aber gerade nicht seinen Fans anvertraut, die ihn für Johannes den Täufer, für Elija oder einen Propheten hielten, sondern seinen Jüngern, die sich eindeutig zu ihm als Herrn und Heiland bekannten.

Auf die Umfrage folgt die Anfrage an seine Jünger: Für wen haltet ihr mich? Petrus antwortet stellvertretend für die anderen: Du bist der Messias! Damit bringt Petrus es auf den Punkt. Die Zwölf haben die Sendung Jesu begriffen. Sie sehen in ihm den von Gott verheißenen Retter.

Auf das Bekenntnis der Zwölf folgt die erste Ankündigung seines bevorstehenden Leidensweges. Diese Selbstoffenbarung Jesu als Messias der Welt und die Ansage seines Kreuzgangs bleibt der Welt aber verborgen.

Jesus teilt sich an einer einschneidenden Wegmarkierung nur seinen Vertrauten, den 12 Jüngern mit. Nicht den begeisterten Massen, sondern den bekennenden Jüngern offenbart sich Jesus als der von Gott gesandte Messias, der sterben und auferstehen wird.

Jesus verbietet seinen Jüngern sogar der Welt mitzuteilen, wer er ist. Erst wenn Jesus ans Kreuz genagelt ist, werden die Apostel den Titel „Christus - der Gesalbte - der Messias“ mit dem Namen Jesu verbinden.

Pfingsten tritt Petrus auf und sagt: Mit Gewißheit erkenne also das ganze Haus Israel: Gott hat ihn zum Herrn und Messias gemacht, diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt (Apostelgeschichte 2, Vers 36).

Damit sind wir beim zweiten Paradox in dieser Geschichte:

2. Die Menschen werden von Jesus geliebt und dennoch nicht umfassend informiert!

Einerseits lesen wir in den Evangelien – Johannes 3, Vers 16 z.B., dass Gott die Welt liebt und keinen Menschen übersieht, andererseits merken wir hier, wie Jesus eine deutliche Trennungslinie zwischen der Welt und seiner Gemeinde zieht.

Nicht die Masse wird informiert, sondern die Jünger werden eingeweiht. Diese Trennungslinie, die Jesus selbst zwischen der Gesellschaft und seinen Nachfolgern zieht, wird auch bei jeder Feier des Abendmahls bei uns deutlich: Nicht die Begeisterten werden zum Abendmahl eingeladen, sondern die Christusbekenner!

Unsere Gottesdienste und Veranstaltungen stehen allen Menschen offen, ganz egal, was sie auch immer von Jesus halten, ob sie von seinen Worten oder seinen Taten fasziniert sind, ob sie in ihm nur einen guten Menschen oder ein Vorbild sehen, ob sie seine Friedensethik schätzen oder einfach von der Gemeinschaft angezogen werden. Aber Mitglied unserer Gemeinde kann nur ein Christusbekenner werden, einer, der die Anfrage Jesu: Für wen haltet ihr mich? so persönlich und klar wie Petrus beantwortet: Du bist der Messias, der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes, mein Herr und mein Heiland!

So wie Jesus eine Trennungslinie zwischen den Menschen und seinen Jüngern zog, so gibt es einen gravierenden Unterschied zwischen den Besuchern und den Mitgliedern unserer Gemeinde. So wie lediglich die Zwölf von Jesus über seine Sendung und seinen Kreuzweg informiert wurden und gleichzeitig herausgefordert wurden, ihm mit Haut und Haaren, ganzheitlich und alltäglich auf dem Kreuzweg nachzufolgen; so können lediglich Gemeindeglieder an der Gemeindeversammlung teilnehmen oder Leitungsverantwortung für eine Aufgabe oder Gruppe wahrnehmen. Neben diesen Rechten haben Mitglieder auch Pflichten. So wie Jesus von seinen Jüngern gelebte Nachfolge erwartete, rechnen wir damit, dass unsere Mitglieder entsprechend der Bibel leben und der Glaube sich in ihrem Alltag zeigt, dass Mitglieder ihren finanziellen Beitrag leisten, regelmäßig den Gottesdienst besuchen, sich einer verbindlichen Kleingruppe anschließen und ihren Gaben entsprechend mitarbeiten. In jedem Aufnahmegespräch wird darüber gesprochen!

Obwohl Jesus eine deutliche Trennungslinie zwischen der Welt und seinen Jüngern zieht, ergibt sich gerade dadurch das dritte Paradox:

3. Die Jünger werden von der Welt getrennt und sind dennoch zu den Menschen gesandt!

Die von Jesus selbst gezogene Trennungslinie zwischen der Weltgemeinschaft und dem Jüngerkreis darf uns eben nicht dazu verleiten, dass wir uns als Christen jetzt von der Welt verabschieden, absondern und abkapseln oder gar für etwas Besseres halten. An Jesus selbst haben wir als Christen Maß zu nehmen und wir sind mithineingenommen in seine Sendung in die Welt.

Im so genannten hohenpriesterlichen Gebet – kurz vor seinem Kreuzgang – betet Jesus genau dafür, Johannes 17, Verse 16 und 18 (Einheitsübersetzung): Sie sind nicht von der Welt, wie auch ich nicht von der Welt bin. Wie du mich in die Welt gesandt hast, so habe auch ich sie in die Welt gesandt.

Obwohl es einen deutlichen und unübersehbaren Unterschied zwischen der Weltgemeinschaft und dem Jüngerkreis gibt, dürfen wir uns als Christen nicht aus dieser Welt verabschieden, sondern wir sind - wie Jesus selbst – als Licht und Salz gesandt in diese Welt. Darüber hinaus haben gerade wir Christen die Mitverantwortung für die Bewahrung der guten Schöpfung Gottes, für den Frieden und die Gerechtigkeit in der Welt.

Mission und Diakonie, gesellschaftliche Mitgestaltung und Verantwortung für eine gerechtere Welt gehen dabei Hand in Hand und sind nicht gegeneinander auszuspielen, sondern die beiden Seiten der einen Sendung Jesu.

Neben diesem indirekten Widerspruch, der sich aber durch das ganze Neue Testament zieht, erscheint das vierte und letzte Paradox am schwersten von uns zu verdauen zu sein:

4. Das richtige Christusbekenntnis bewahrt nicht vor falschen menschlichen Erkenntnissen.

Eben noch hat Petrus richtig erkannt und bekannt: Du bist der Messias. Anschließend schenkt Jesus seinen Jüngern reinen Wein ein und klärt sie über seinen Kreuzweg auf. Daraufhin hat Petrus nichts besseres zu tun, als seinem Herrn in sicherlich edelster Absicht von diesem schmerzhaften Leidensweg abzubringen. Die Schärfe der Reaktion Jesu macht allerdings deutlich, wie satanisch dieser menschliche Versuch des Felsenmannes Petrus in Wahrheit ist. Gut gemeint ist eben noch lange nicht gut gemacht!

An dieser Stelle gewinnt das Wort Bonhoeffers noch ein viel stärkeres Gewicht, dass wir als Christen eben immer zugleich auch Sünder sind und bleiben!

Das kennen wir doch auch in den unterschiedlichsten Formen?

Da haben wir eben miteinander Abendmahl gefeiert und unser Leben dabei vielleicht Jesu neu geweiht und keine drei Stunden später machen wir unseren Ehepartner rund.

Da leben wir seit Jahren schon als überzeugte Christen in der Gemeinde und da kommt ein Neuer und ein Frischbekehrter und redet überschwänglich und begeistert von seinem Glauben und wir als gestandene Christen winken nur lächelnd ab.

Petrus stolpert über seine eigene Selbstüberschätzung und seine menschlichen Vorstellungen vom Messias. Das passte für ihn einfach nicht zusammen, dass die Hoffnung Israels, der Messias, sich freiwillig auf den Leidensweg begeben will.

Welches Jesusbild bestimmt mich? Welchen Teil von Jesus unterschlagen wir? Die Evangelikalen reden vor allen Dingen vom stellvertretenden Opfertod Jesu am Kreuz. Die Charismatiker betonen seine Hoheit und seine Königswürde und die Liberalen sehen in Jesus vor allen Dingen seine menschliche Art und wie sich um die Randsiedler und Ausgestoßenen kümmerte.

Welches Jesusbild bestimmt mich? Der leidende, der erhöhte Jesus? Jesus als Mensch oder Jesus als Gott? Da Jesus unteilbar ist und sowohl Mensch als auch Gott ist, sowohl den Leidensweg ging als auch Herr aller Herren ist, können wir Jesus nicht teilen. Ein einseitiges Reden von Jesus bedeutet immer ein Reden von einem Jesus, der nichts mit dem biblischen Christus zu tun hat!

Niemand – selbst der große Petrus nicht – hat den heiligen Geist für sich gepachtet und redet nur und ausschließlich durch und im Heiligen Geist.

Eben noch das großartige und richtige Christusbekenntnis auf den Lippen, um nur einen Satz später menschlich gut gemeint, aber in Wahrheit teuflisch gefährliche Ratschläge an den Mann zu bringen. So leben und reden wir als Christen! Wir sind gerecht und erlöst und bleiben dennoch lebenslang Sünder und Versager.

Das richtige Christusbekenntnis bewahrt uns nicht vor menschlichen Fehleinschätzungen mit satanischer Tiefenwirkung. Das sollten wir von Petrus demütig lernen: Richtig und Falsch gehen bei uns Christen lebenslang Hand in Hand!

Bei uns? Bei mir! Und wie ist das bei Dir?

Wir hätten es so gerne einfach und klar, würden so gerne in deutliche Schubladen einteilen, in richtig oder falsch, in schwarz oder weiß, aber Jesus nimmt uns an die Hand und sagt:

- Begeisterung ist noch nicht Glauben!

- Er ruft uns aus der Welt heraus, stellt uns in den Jüngerkreis und sendet uns zugleich wieder in diese Welt und zu den Menschen!

- Er lobt unser richtiges Christusbekenntnis, um uns im nächsten Moment auf unsere menschlichen Fehleinschätzungen hinzuweisen!

Was können wir da tun? Wie können wir als Christen leben?

In meinem Bücherregal stieß ich während der Vorbereitung auf ein Buch von Hartmut Weber aus dem Kreuzverlag, das unseren Bibeltext als Grundlage hat: „Was sagen die Leute, wer ich sei? – Jesus und seine Pfarrer.“ Der evangelische Journalist befragt in diesem Buch evangelische Pfarrer nach ihrem Jesusbild. Vieles Erschreckende findet sich in diesem Buch, wie heutige Pfarrer mit ihrer pietistischen Jesusfrömmigkeit im Laufe ihres Lebens gebrochen haben. Vor allem der menschliche Jesus kommt in diesen 311 Seiten zum Vorschein. Da ist wenig vom Heiland und vom Erlöser die Rede. Die menschliche Seite Jesu wird hier überwiegend betont, die Seite, die wir Evangelikale sicherlich viel zu stark ausgeblendet haben, dass man Jesus eben auch einen Fresser und Weinsäufer nannte, dass er einer war, der das Leben genießen konnte, dass er bei den Armen und Asozialen zu Hause, eben ganz Mensch war.

Trotz dieser Einseitigkeit und der Akzentuierung auf das rein menschliche im Leben des Mannes aus Nazareth, fand ich folgenden wichtigen, nachdenkenswerten Satz von Kurt Marti:

„Mein“ Jesus?

Nicht doch! Er ruft zur Umkehr. Umkehr aber bedeutet, dass er aufhört, „mein“ Jesus zu sein, weil ich anfange, sein Kurt Marti zu werden.

Hartmut Weber, Was sagen die Leute, wer ich sei, Seite 201

Verstehen wir? Wir können Jesus nicht „besitzen“! Es kommt darauf an, dass er unser Leben bestimmt!

„Mein“ Jesus?

Nicht doch! Er ruft zur Umkehr. Umkehr aber bedeutet, dass er aufhört, „mein“ Jesus zu sein, weil ich anfange, sein Siegi Ochs zu werden. Amen.



Krefeld, den 30. Januar 2005
Pastor Siegfried Ochs



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