Sechs todsichere Rezepte, eine Gruppe zu ruinieren

Regel 1: Kommen Sie zu spät!

Kommen Sie grundsätzlich zu spät und rennen Sie dabei die letzten Meter. Wenn Sie schweratmend ankommen, gibt Ihnen das den Hauch des Vielbeschäftigten (Ihre Schweißdrüsen sorgen für nachdrückliche Unterstreichung dieses Hauchs). Außerdem wird so niemand je an Sie mit Vorwürfen herantreten, denn jeder erkennt, dass Sie immer ihr letztes geben. Vergessen Sie nicht, in den ersten Minuten noch ganz schlapp zu wirken, das unterstreicht den gewünschten Eindruck. Jedermann ist froh, dass Sie wenigstens jetzt noch gekommen sind. So können Sie Ihre Schlamperei am ungeniertesten fortsetzen.

Regel 2: Halten Sie Distanz!

Es ist geradezu abstoßend, wie betont herzlich manche Leute zueinander sind. Gewöhnlich ist das ja nur Mache. Seien Sie vorsichtig! Bleiben Sie auf Distanz! Grüßen Sie mit weitabgestrecktem Arm und nur leichtem Handdruck und Lächeln. Kommen Sie frühzeitig, damit der hinterste Platz für Sie noch frei ist. (Lassen Sie die anderen spüren, dass dies ihr Stammplatz ist.) Verfolgen Sie von dort das Gespräch mit kühler Distanz. Merke: je spürbarer Sie sich raushalten, desto mehr wird auf ihr Wort geachtet, wenn Sie sich auch mal äußern. Sagen Sie aber nie etwas Persönliches - das schadet Ihrem Image im Kreis - versuchen Sie dagegen, das Gespräch im Theologischen zu halten. Nüchternheit, Exaktheit, Sachlichkeit und alles andere ist Gelaber! - Übrigens: Wenn Ihnen je einer das ‘‘Du’’ anbieten sollte, lächeln Sie säuerlich zurück und erbitten Sie sich Bedenkzeit. Der kommt kein zweites Mal!

Regel 3: Seien Sie der Mittelpunkt!

Jeder Kreis braucht einen Mittelpunkt. Seien Sie der! Der Trick ist einfach: seien Sie vorne, seien Sie hinten, sagen Sie zu allem etwas, lassen Sie sich einfach nicht bremsen. ‘‘Seid eifrig im Geist’’, natürlich! Und wenn nicht mit dem Geist, dann wenigstens ohne. Haben Sie das feste Empfinden, dass ohne Sie nichts läuft, dass es auf Sie ankommt, damit der Laden in Schwung bleibt, denn - wie gesagt - es braucht einfach einen Mittelpunkt und der sind Sie.

Sie können der Sache in der Diskussion noch einen weiteren, beträchtlichen Drall geben, indem Sie nicht nur alles kommentieren, sondern auch die Sprecher jeweils vor dem Satzende schon unterbrechen. In weniger als einer halben Stunde haben Sie das Gespräch dermaßen belebt, dass es jetzt jeder so macht. Ihre Anregung schafft Aufregung, macht Schule!

Regel 4: Unbedingte Verschwiegenheit

...gilt für die anderen. Selbstverständlich gilt sie auch für Sie, außer in den Fällen, wo etwas Negatives über jemand gesagt wurde. Es gehört zur Fairness in einem Kreis, dass der Betreffende dies erfährt, denn nur so entsteht ein Klima des Vertrauens, wenn man erfährt, was die anderen wirklich über einen denken. Seien Sie dieses Bindeglied zum Vertrauen. Auch gibt es persönliche Nöte, die Ihnen unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut werden. Zögern Sie nicht, auch diese weiterzugeben, da man ja aus gemachten Sünden und Fehlern anderer lernen kann. Versäumen Sie aber nie, den Mantel der Verschwiegenheit nach dem Gespräch wieder ganz fest zuzuschnüren, indem Sie den anderen unter Eid nehmen, ja nichts von dem Gehörten weiterzusagen. Auf diese Weise vermeiden Sie unnütze Komplikationen, die entstehen, wenn sich zwei dasselbe verraten und sich herausstellt, dass beide es von Ihnen haben. Seien Sie also sehr sorgfältig in der ‘‘Nacharbeit’’.

Regel 5: Bleiben Sie eisern!

Denn merke: Meinungen kommen, Meinungen gehen, Sie aber bleiben auf Ihrer stehen. Seien Sie überzeugt davon, dass Sie immer Recht haben und fechten Sie es durch bis zum Komma - und Sie werden erleben, dass Ihnen die anderen zum Schluss tatsächlich zustimmen ... Das ist ein Gefühl! Das ist Sieg! Die Techniken des Überzeugens sind vielfältig: entweder wiederholen Sie ständig dasselbe mit anderen Worten; oder versuchen Sie lange zu reden; hilft das nicht, werden Sie aggressiv (Eine Prise Ironie wirkt wie Pfeffer!). Als letztes Mittel bleibt das seufzende Schweigen oder der gekränkte Rückzug ins ‘‘Na bitte, wenn Sie meinen’’. Strafen Sie von da an aber die anderen mit demonstrativer Gleichgültigkeit (Gähnen, Uhr, Blättern, etc.).

Regel 6: Seien Sie sensibel!

Und das sollten die anderen gefälligst respektieren! Man kann Ihnen einfach nicht alles zumuten. Und dass es Ihnen manchesmal so schlecht geht - liebe Zeit, das sollte man eigentlich schon früher merken! Man ist einsam, wenn man so sensibel ist, niemand versteht einen richtig. Aber den einen Vorteil hat das Ganze doch: man wird von vielen umsorgt, sie versuchen wenigstens, einen zu verstehen. Das tut sensiblen Menschen wohl. Robusteren Typen, die diese Nöte nicht mittragen wollen, ja, die einen sogar ablehnen (wo bleibt da die Liebe), sagt man am besten, dass sie in ihrem Leben wohl noch zu wenig eigenes Leiden zu tragen gehabt haben - meist werden sie dann auch ganz still. Sicher haben Sie diese positive Erfahrung auch schon gemacht.

Schlussbemerkung

Bitte, versuchen Sie jetzt nicht, alle Regeln gleichzeitig zu verwirklichen. Suchen Sie ein Spezialgebiet aus und bemühen Sie sich, darin Erfolg zu erzielen.

Ortwin Schweitzer, Gemeindewachstum Nr.10 Heft 3/1982, Seite 12